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Interview mit Lorenz

«Entweder höre ich mit dem Online-Glücksspiel auf oder ich fahre in den nächsten Baum.»

Lorenz* (35) hat während Jahren Online-Glücksspiele gespielt und wurde davon süchtig. Er hat über eine halbe Million dafür ausgegeben. Seine Sucht hat ihn isoliert, bis er irgendwann keinen Sinn mehr in seinem Leben sah. Niemand wusste davon.

Lorenz*, wie geht es Ihnen heute?

Ich bin komplett spielfrei seit gut einem Jahr. Es geht mir gut. Viel besser als zuvor.

Wie kamen Sie zum Glücksspiel?

Mit 23 Jahren als ich mit Freunden zum ersten Mal im Casino war. Dort hatte ich auch etwas gewonnen. Ich bin dann häufiger gegangen, habe aber nur kleine Beträge gespielt. Der Spass stand im Vordergrund.

Und dann kamen Sie zum Online-Glücksspiel?

Ich hatte davon gehört und wollte es ausprobieren. Das war vor 10 Jahren. Ich habe online vor allem Slot-Automaten gespielt und hatte meine Lieblingsspiele bei mehreren Anbietern. Dort habe ich auch begonnen grössere Beträgen zu spielen.

Der Spass war schnell vorbei...

Ich hatte zu Beginn einen grösseren Gewinn. Da dachte ich, das passiert jetzt gleich nochmals. Und so startete ein Teufelskreis. Ich verlor Geld und wollte es zurückholen. Da spürt man einen Druck. Und dann wurde es irgendwann zu einer Gewohnheit und ich konnte nicht mehr ohne das Spielen sein.

Was hat Sie am Online-Spiel angezogen?

Online spielt man allein. Für mich kam es irgendwann nicht mehr in Frage, bspw. mit anderen Leuten ins Casino zu gehen. Das hätte mich gebremst.

Was meinen Sie mit “gebremst”?

Ich hatte mich geschämt. Ich kenne in meiner Stadt relativ viele Leute und irgendwann war es mir unangenehm, diese im Casino zu treffen. Sie fragten sich sicher, was ich da mache und ob ich jeden Tag dort sitze. Beim Online gibts das nicht. Niemand sieht einem. Ich habe mich daher auch immer mehr von meinem Umfeld isoliert.

Was ist an Online-Casinos sonst noch anders?

Es ist einfacher zu spielen. Im Zug, in der Post, im Wald. Sobald man Empfang hat, ist man drin. Man kann auf verschieden Wege Geld einzahlen. Und man wird mit Werbung bombardiert: Bonus, Extrageld, Freispiele. Ich bekomme heute noch SMS von Plattformen, die in der Schweiz gar nicht mehr erlaubt sind. Die Anbieter verfolgen einem.

Seit letztem Sommer sind mit dem neuen Geldspielgesetz ja nur noch Schweizer Online-Casinos legal, hat sich damit etwas verändert?

Vielleicht ist der Spielerschutz einen Ticken besser. Aber auch bei den Schweizer Anbietern bekommt man Freispiele, Freigeld und Angebote. Und das ist für mich nicht mehr Schutz, sondern man macht die Leute “gluschtig” zum Spielen. Ganz ehrlich: So lange man spielen kann, ist es aus meiner Sicht kein Schutz. Die Casinos würden meiner Meinung nach ohne die “Abhängigen” nicht überleben.

Gemäss Studien sind dabei jüngere und einkommenschwache Personen besonders gefährdet.

Verständlich, wenn man weniger Lohn hat und dann einen Gewinn macht, ist man schnell scharf auf das grosse Geld. Viel bekommen, wenig tun. Ein Traum. Und bei allen, mit denen ich gesprochen habe, hat es mit einem Gewinn begonnen.

Wie hat sich der Lockdown Ihrer Meinung nach auf die Spielenden ausgewirkt?

In dieser Zeit ist vor allem extrem viel Werbung für diese Online-Angebote geschaltet worden. Das ist mir und auch in meinem Umfeld aufgefallen. Und wer natürlich bereits am Spielen war, hatte wohl auch mehr Zeit zum Spielen.

Was vermitteln diese Werbungen aus Ihrer Sicht?

Sie funktionieren alle ähnlich. Zuhause sitzen, Action, man gewinnt. Und natürlich die Töne der Automaten. Als ich tief in der Sucht war, waren diese Töne und Lichter eine Entspannung und ich habe darauf reagiert. Wenn ich die Werbung heute sehe, denke ich: Was für ein Schrott.

Zurück zu Ihrem Spiel: Wie viel haben sie denn gespielt?

Sehr viel. Ich bin von der Arbeit nach Hause gekommen, habe den Computer gestartet und gespielt. Ich war oft bis am Morgen um 5 oder 6 Uhr dran. Dann habe ich vielleicht eine Stunde geschlafen. Das habe ich über Jahren so gemacht. Und gespielt habe ich immer höhere Einsätze. 20er, 25er, 50er Einsätze. Einmal klicken und 50 Franken weg. Ja, das ist krank.

Da gab es in ihrem Leben wohl nicht mehr viel anderes?

Es gab neben der Arbeit eigentlich nichts mehr anderes. Ich habe Freundschaften vernachlässigt, eine Beziehung hatte ich zu dem Zeitpunkt nicht. Man vereinsamt. Und je mehr man alleine ist, desto mehr ist man im Spiel drin. Dabei hatte ich auch gar kein Geld, um bspw. etwas trinken zu gehen. Ich war wirklich auf Null.

Haben Sie eine Vorstellung, wie viel Geld sie so verspielt haben?

Mindestens eine halbe Million Schweizer Franken. Mein Lohn, aber auch meine gesamten Ersparnisse waren weg. Ich hatte auch einen Kredit für ein Auto aufgenommen, aber hatte mich nicht unter Kontrolle und das Geld verspielt. Ich zahle heute noch Schulden zurück.

Wieso haben Sie nicht aufgehört mit dem Spielen?

Ich war wie in Trance beim Spielen. Mit der Musik, den Tönen, dem Licht. Es ging mir am Schluss nur noch um den Knopfdruck. So banal das tönt. Ich spürte beim Spielen keinen Druck mehr, spürte mich selbst nicht mehr. Ich denke, wie bei einer Droge. Es ging auch nicht mehr ums Geld. Gewinne ermöglichten mir nur, noch länger zu spielen.

War Ihnen das Problem bewusst?

Ja, ich hatte es früh gemerkt. Nach dem Spielen war immer die Ernüchterung da. Da war ich auf dem Boden und habe mich selbst gefragt, was mache ich da eigentlich? Aber am nächsten Tag ist es dann weitergegangen.

Hat niemand etwas gemerkt während der ganzen Zeit?

Die Leute haben sich zu Beginn schon genervt, dass ich nicht mehr nach draussen gekommen bin. Aber mit der Zeit fragt niemand mehr. Meine Familie weiss bis heute nichts von meiner Spielsucht.

Wann haben Sie gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann?

Vor vier Jahren zum ersten Mal. Ich konnte das Alleinsein und die finanziellen Problem nicht mehr ertragen. Aber ich hatte noch nicht die richtige Einstellung für die Therapie. Ich spielte weiter und hatte damals wirklich keine Kontrolle mehr. Da habe ich überall gespielt. Im Zug, in der Mittagspause. Auch auf dem Smartphone.

Aber der Druck wurde irgendwann zu gross?

Es war eine riesige Last. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich im Auto gesessen bin und mir überlegt habe, dass ich jetzt entweder in den nächsten Baum fahre oder mit dem Online-Glücksspiel aufhöre.

Sie haben sich für den Weg aus der Sucht entschieden.

Es war nicht einfach und hat viel Kraft gebraucht. Und es gab auch Rückschläge. Ich war ständig damit konfrontiert, was ich nun tue, wenn ich nicht spiele. Ich musste lernen mich anders zu beschäftigen. Dabei hat mir die Therapie sehr geholfen.

Dann ist der Druck jetzt weg?

Der Drang zu spielen ist noch minim. Ich habe gelernt damit umzugehen. Und habe jetzt auch wieder Hobbies, die mir gut tun. Und auch wieder Menschen um mich rum. Aber ich glaube, wenn ich wieder spielen würde, wäre ich sofort im alten Modus. Deshalb halte ich mich davon fern.

Meinen Sie, dass Präventionskampagnen helfen können?

Abhalten ist sicherlich schwierig. Aber man kann für die Gefahren sensibilisieren, damit die Leute vorsichtiger sind. Gerade auch junge Leute. Ich war mir diesen Gefahren leider selbst zu wenig bewusst.

Was möchten Sie problematisch Spielenden auf den Weg geben?

Ich kann nur sagen, dass es einem besser geht, wenn man aufhört. Psychisch, körperlich und auch finanziell. Der Weg dorthin ist nicht einfach. Man muss dranbleiben und es wollen. Aber rückblickend war es doch nicht so schwer, wie ich befürchtet hatte. Das ist meine Erfahrung.

Machen Sie sich Sorgen wegen Ihres Spielverhaltens oder kennen Sie jemanden, der möglicherweise problematisch spielt? Hier finden Sie heraus, was Sie tun können!

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